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Tagebuch - Teil 2

CROSS Magazin bei Halfpro

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Lesedauer: 9 min

Seit vergangenem Mittwoch sind unsere beiden Teammitglieder Alex und Denis  zusammen mit anderen deutschen Reiseteilnehmern auf der Halfpro-Ranch in Perris/CA. Nachdem ihr vor zwei Tagen bereits den ersten Teil ihres Reisetagebuches lesen durftet, folgt nun der zweite Part.

„Ich hab meinen Vito vorhin einfach abgestellt und die Playstation angemacht. Hier ist kompletter Schneesturm und auf den Straßen geht gar nichts mehr. Ich hab keine Lust, die Woche noch hier zu sein, ey! Bitte nicht mehr solche Tagebuch-Einträge, sonst halte ich die Wartezeit hier gar nicht mehr aus!“ jammerte mir Dominique Thury gestern die Facebook-Nachrichtenbox voll. Sorry, Nique, aber da musst du noch ein paar Tage durch, ehe du dich hier in SoCal in der Sonne räkeln kannst. Da allerdings auch ich ein Herz habe und durchaus Mitleid zeigen kann, hier ein kleiner Trost: Am Samstag Morgen hat es hier auch mal wieder seit langem geregnet. Ja, so richtig mit Pfützen auf den Straßen und Gischt beim Autobahnfahren. Doch wenn man sich dann aktuell das Schnee- und Wetterchaos in Deutschland im Internet anguckt, dann war dieses kalifornische Regenwetterchen im Vergleich dazu nicht mehr als ein Bewässern der Tracks und Silikonberge. Seems it never rains in southern california. Und wenn, dann halt nur ganz kurz.

Freitag

Nach dem morgendlichen BEHB (Bacon-Eggs-Ham-Breakfast) heißt es schon wieder rein in die Klamotten und ab in die Trucks: Lake Elsinore ruft. Ein schneller Track, der nach rund 15-minütiger Fahrtzeit in seinem vollen Ausmaß vor uns liegt. Und wie: Nach dem Passieren des Kassenhäuschens liegt vor uns eine riesige Strecke und wir fühlen uns durch die Weite eher wie Plastikmännchen im Miniaturwunderland. Auf der Strecke findet das Finale der diesjährigen US-Nationals statt, hier wird auch bereits fleißig am Gelände geschuftet, so ensteht neben der eigentlichen Hauptstrecke mit riesigen Baumaschinen sogar ein Offroad-Racetruck-Track.

Der absolute Knaller ist allerdings ein weißer Kunststoffzaun, der sich wie Meterware nahezu um das gesamte Streckenareal zieht. Der war wohl billig in der Anschaffung. Es hat auf jeden Fall seinen Flair und die weiblichen Reiseteilnehmerinnen suchen schon panikartig nach Pferdchen und Ponis, die doch jetzt bestimmt gleich an den Zaun kommen müssten. Kommen´se aber nicht, stattdessen schwingt sich die erste Truppe schon mal auf die Bikes. Und irgendwie scheint heute der Black Friday zu sein. Denn schon nach wenigen Metern machen Luca und Wolfgang Bekanntschaft mit amerikanischen Krankenwagen, beide schießen sich ins Aus. Merke: MX kann auch in Amerika zu beißen, wenn es will. Doch schon am Abend können wir beide Jungs wieder aus dem naheliegenden Krankenhaus abholen (Gute Besserung, Jungs!)

Die Strecke in Lake Elsinore ist eben verdammt schnell und wenn man die einheimischen Fahrer hier rumjagen sieht, dann würde man es am liebsten selbst genauso tun. Doch generell gilt für uns: Rantasten, abschätzen und ganz langsam das Tempo anpassen, dann ist normalerweise alles save. Die Strecke hat einen guten Flow, mit ihren mächtigen aufgeschütteten Bergauf- und Bergabpassagen ist Spaß garantiert. Den hat auch der volltätowierte, schwergewichtige Fahrer des Bewässerungstrucks, der beim Pendeln zwischen Amateur- und Maintrack gerne mal dem ein oder anderen vorbeirollenden Fahrer eine Kurzdusche verpasst (wenn gewünscht). Abkühlung kann man hier in der Hitze auf jeden Fall gebrauchen (und das im Januar!).

Am frühen Nachmittag werden die Bikes wieder zusammengeladen und es geht wieder zurück auf die Ranch. Während Reisegruppe A es vorzieht, bei einem eiskalten Bud oder Corona den Muskelkater von den Massagedüsen im Whirlpool schon im Vorfeld zu ertränken, heißt es für Reisegruppe B: Dreck im Gesicht lassen, nächster Treffpunkt Garage. Denn unter der Führung von Halfpro-Cheffe Jens geht es zum Freeriden hinters Haus. Die Tatsache, dass die Sonne gerade richtig geil steht, ein herrliches Licht auf eine noch herrlichere Landschaft scheint, macht die Sache ziemlich „romantisch“. Man will es nicht glauben: man fährt hier mit dem Dirtbike in voller Montur einfach vom Halfpro-Gelände auf die Verkehrsstraße, vorbei an Familienhäusern und Rentnerbungalows, bis man nach einem kleinen Feldweg quasi die „Grenze“ ins Paradies mit einem kleinen Lupfen der Vorderräder über ein kleines Bretterhindernis überschreitet. Wumm: Die Augen suchen irgendwie nach einem Fixpunkt, doch die Weite und Schönheit des Areals lassen sie einfach keinen Halt finden.

Überwältigt und locker in den Rasten stehend, fahren wir der Sonne entgegen, durch wunderbare Singletrails vorbei an schroffen Felsen und trockenen Büschen. Es ist einfach nur geil, Freiheit auf dem Dirtbike, neu definiert. Als wir auf einem der zahlreichen Hügel kurz Halt machen und den Blick über das Gelände schweifen lassen, ringen wir nach Luft ob der Weite. Das Krasse ist, dass man nach einer Weile bemerkt, tatsächlich zu schwitzen, obwohl man eigentlich überhaupt nicht angestrengt ist. Nach circa einer Stunde geht es wieder zurück auf die Ranch, und die Sonne ist schon beinahe weg. Zeit für eine heiße Dusche und bei einer dicken Pizza den Tag Revue passieren zu lassen und Fachzusimpeln (die beliebtesten Themen: „Früher war alles besser, heutztage ist es aber auch nicht alles schlecht“ „Fahrwerke und Biketunings“ und „Morgen will ich mal Bike X fahren“). Letzter Check bevor wir müde in die Kojen fallen: Ob die Kamera-Akkus geladen sind. Denn am folgenden Tag geht es in die „City of Angels“ nach L.A. US-Supercross steht auf dem Plan. Ich kann kaum Pennen vor Aufregung, schaff es aber irgendwie trotzdem.

Kiedrowski sucht den Grip in Lake Elsinore.
Kiedrowski sucht den Grip in Lake Elsinore.
Hinterm Gartenzaun links
Hinterm Gartenzaun links

Samstag

Kaum blinzelt die Morgendämmerung durch die Vorhänge, will man mal gucken, ob der „Kachelmann auf LSD“ (zumindest machte der Wetter-Mann gestern Abend im TV diesen Eindruck) Recht hatte, als er Regen vorhersagte. Hatte er leider, doch schon nach kurzer Zeit haben sich Tropfen und Nebel verzogen und die Sonne trocknet Straßen und Gemüt. Da das Dodgers Stadium nämlich nicht überdacht ist, wäre Regen hier fatal. Nach etwas mehr als einer Stunde Autofahrt liegt L.A. vor uns und das Navi jagt uns einen breiten Straßenteppich hinauf auf den Hügel des Dodgers Stadiums. Nach dem Einchecken werfen wir einen ersten Blick ins Stadion: Geil. Einfach nur geil. Und damit meine ich erst das Stadion an sich, denn die Strecke liegt noch gut verpackt wie ein Christo-Streich unter weißen Planen der Dirtwurx-Streckencrew. Tja, wenn der Regen droht, sorgt der Ami vor wie kein Zweiter und erst zur High-Noon werden die Planen abgezogen.

Tadaaaaa: ein fast furztrockener SX-Track, der sich nach und nach enthüllt, kommt zum Vorschein, während sich der Stadionsprecher schon mal an sein Mikro gewöhnt und die noch wenigen Zuschauer unterhält: „Kaufen sie nur lizensierte Ware“, „Honorieren sie die Arbeit der Streckencrew, die haben sich hier alle wirklich für sie den Arsch aufgerissen“ oder „Probieren sie unser wirklich leckeres Fastfood, es lohnt sich für ihren Magen“ hallt es (natürlich auf Englisch) durch die noch leeren Sitzreihen. Wieviele es davon sind, weiß ich nicht, ich bin einfach nur überwältigt von der Größe dieses Betonkolosses namens Dodgers Stadium. Dadurch dass es geregnet hat, wird das Training auf ein Minimum reduziert und wir haben noch genügend Zeit, über die Pit-Party im Fahrerlager zu schlendern. Und das haut dann auch den letzten Bauerntrampel aus den Gülle-Galloschen: An jeder Ecke Marktschreier mit Gewinnspielen, Ultimate-Fight-Box-Birnen, Duft von gebratenem Beef und Fritten, Malwettbewerben, Showcars, Showgirls, Showmens, Energydrinkreserven für mindestens die halbe Menschheit, Autogrammstunden.. kurzum: Man kommt sich vor wie auf dem Rummel. Nur dass es einem noch sympathischer erscheint, weil es doch immer irgendwie mit Dirtbikes zu tun hat. Auch Ken Roczen ist fleißig am Autogramme schreiben („In einer Woche werde ich wieder mit dem Bike trainieren“) und ich kann ihn mehr denn je verstehen, warum er unbedingt hier fahren will/muss. Ich würds auch tun, wenn ich so fahren könnte wie er. Ich kann das aber irgendwie nicht und ich begnüge mich mit meiner Rolle als gaffender MX-Touri, das kann ich ziemlich gut.

Während die Halfpro-Truppe die Bikes für Kyle und Matt Goerke vorbereitet, um Geschichte zu schreiben (zumindest kleine Geschichte, denn unseres Wissens gab es bisher noch nie ein deutsches Team bei der US-Meisterschaft), schiebe ich noch einen Burger rein (Ketchup, Zwiebel, Senf und Ketchup muss an sich übrigens selbst draufladen. Habe ich herausgefunden, allerdings erst nachdem ich den Burger-Rohling schon gefuttert hatte). Hier in den Pits findet auf jeden Fall bereits am frühen Mittag richtiges Entertainment statt. Die Firmen wissen einfach,wie man seine Produkte an den Mann bringt. So gibt es zum Beispiel von Toyota eine große Megawippe aus Stahl, auf der ein fetter Pickup-Truck platziert ist. In den können dann die amerikanischen Daddies einsteigen, die Karre vorsichtig nach vorne fahren und versuchen, die Wippe wie eine Waage ins Gleichgewicht zu bringen. Wer sie dort hält, kann die Karre gewinnen. Natürlich live moderiert von einem Toyota-Angestellten, der daraus Unterhaltung pur macht. Während Ryan Villopoto 20 Meter neben an unter Applaus auf die aufgebaute Pitlane-Interview-Bühne klettert und schon mal die ersten Fragen des Tages beantwortet. Die Sonne lacht und nach dem Trackwalk und den Trainings, schiebt die Masse ins Stadion. Übrigens herrscht hier eine Freundlichkeit, mit der man als deutscher Bundesspießer zunächst etwas überfordert ist. Jeder grüßt einen, wünscht einen schönen Tag, erkundigt sich woher man kommt und welches Bikes man fährt (denn hier scheint wirklich jeder MX zu fahren), keiner motzt und alles scheint easy. Komisch aber sowas von sympathisch.

Als dann die Sonne untergeht, beginnt das Opening. Schon beim Ertönen der amerikanischen Nationalhymne merkt man: Hier herrscht ein etwas anderer Patriotismus und die Amis wissen, dass so eine Show wie hier wohl auch hier und nirgends sonstwo möglich ist. Kind, Kegel und Rehpinscher stehen stramm, das komplette Stadion ist mucksmäusschenstill und patriotisch erklingt die Hymne, natürlich live gesungen. Kaum ist das Lied zu Ende bricht tosender Applaus aus und die Show beginnt. Die Zeremonie an sich dürftet ihr bereits kennen, Laser-Bumm-Bumm, Feuerfontänen und ein heiserer Kommentator (mit mindestens fünf Fröschen im Hals) kündigt die Top-Stars an, die alle zu ihrem eigenen Intro auf dem riesigen Bildschirm in das Stadion rollen. Die Fans stehen Kopf und das Wort „MX-Superstar“ scheint wirklich nur hier seine wahre Bedeutung zu finden. Bei James Stewart wird auffällig viel gebuht, während Dungey, Reed und Windham scheinbar die Symphatieträger sind.

Dadurch dass Opening und Fahrerpräsentation zusammengepackt werden, ist der ganze Spuk innerhalb von 15-20 Minuten vorbei. Und das ist auch gut so, denn schon stehen die ersten Jungs am Gatter zum ersten Lites-Heat. (Auf das eigentlich Renngeschehen gehe ich nun nicht mehr ein, das könnt ihr ja alle in unserem Rennbereicht ausführlich nachlesen. Außer einen Gruß an die Jungs in der Redaktion zu Hause, den kann ich mir nicht verkneifen: Na? Wer hat Reed auf Platz eins getippt?;-)). Als mein Blick über die Zuschaueränge schweift fällt mir auf, dass die Bude gerade so zur Hälfte voll ist. „Yepp, it´s because of the rain in the morning“ erklärt mir ein dicker US-Fan hinter mir, als ich ihn auf die leeren Ränge anspreche. Wie jetzt? Die kommen nicht, wenn es am Morgen ein wenig gepieselt hat und den restlichen Tag die Sonne knallte? Andere Länder, andere Sitten, für die Amis ist das eben hier der absolute Tiefwinter. Zugegeben, es ist ab Abend wirklich frisch, aber mit einer guten Jacke absolut auszuhalten. Als ich dem Typen erzähle, dass in Deutschland die Strecken aufgrund des Winters immer so drei bis vier Monate im Jahr geschlossen sind und momentan Schnee und RICHTIGE Kälte Germany regiert, zieht er nur die Augenbrauen hoch. „Really?“ Tja, da guckste wa…

So geil wie das ganze Racing und Brimborium hier ist, so schnell ist aber auch alles wieder vorbei. Außer einen kurzen Pause geht alles Schlag auf Schlag und man hat kaum Zeit für eine Pinkelpause. Überlängen bis weit in die Nacht wie bei deutschen SX-Rennen gibt es hier nicht. Um zirka 23 Uhr ist Schicht im Schacht und der ganze Tross zieht ab. Und im Paddock wird sogar bereits mit den Abbau angefangen, wenn sich die Zuschauermaßen zum ersten Mal ins Stadion bewegen. Es ist eben ein riesiger Zirkus, der für einen Tag auf- und wieder ratzfatz abgebaut wird. Doch die Show die man zu sehen bekommt ist für einen deutschen Fan, der es noch nie live gesehen hat am einfachsten mit dem Wort „unbeschreiblich“ zu beschreiben. Ich jedenfalls werde diesen Tag nicht vergessen, auch wenn es fast zuviele Eindrücke sind, die sich im Kopf stapeln.

Als wir am Abend auf der Halfpro Ranch ankommen, ist jeder überwältigt und happy fallen wir in die Kojen, ich schlafe wie ein Welpe. Morgen ist ein neuer Tag, aber wenn er auch nur halb so geil wird wie der Samstag, dann reicht mir das bereits. Kommende Woche wird es dann den letzten Teil des Tagebuchs geben. Und denk dran, Nique: Seems it never rains in Southern California. Und wenn, dann halt nur ganz kurz.

?Schweres Unwetter? auf dem Weg nach L.A.
?Schweres Unwetter? auf dem Weg nach L.A.
Genau das richtige für die Amis...
Genau das richtige für die Amis…
Gleich kippt er und Mummy muss weiter Kleinwagen fahren...
Gleich kippt er und Mummy muss weiter Kleinwagen fahren…
Der erste Blick ins Stadion...
Der erste Blick ins Stadion…
Drei Budweiser, bitte...
Drei Budweiser, bitte…
Jens Pohl
Jens Pohl
Online-Redakteur
Fotocredits
  • Alex Daum
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  • Alex Daum