Das sonnige Gemüt Jeffrey Herlings ist auffällig. Nach seinem folgenschweren Sturz letztes Jahr in Loket leuchtet sein Stern heute heller denn je. Man könnte fast meinen, der Sturz hatte etwas Positives für Jeffreys Entwicklung.
Ein Tag ohne Lachen scheint für Jeffrey Herlings ein verlorener Tag zu sein. „Mund abputzen und weiter geht’s“, so kann man Jeffrey Herlings interpretieren. Dabei steht er nun vor einer sehr wichtigen und vielleicht seiner bisher härtesten Saison. Denn er hat mit Ken Roczen nun seinen schärfsten Konkurrenten direkt im Team. Wenn man seine Geschichte durchleuchtet, fallen einem viele Parallelen zu seinem neuen KTM-Teammate auf.
Herlings räumte 2008 (wie damals Ken auf Suzuki) in der Klasse bis 85ccm so ziemlich alles ab, was es auf unserem Planeten zu gewinnen gab. Titel des Junioren Welt- und Europameisters, Holländischer Meister und Junior-Cup-Sieger beim ADAC. Die Erfolgsliste des erst 16-Jährigen ließe sich noch lange fortführen. Wozu mit Sicherheit auch die beinharten Fights aus der Jugendzeit mit dem britischen US-Heimkehrer Max Anstie gehören.
Im Jahr 2009 stieg Jeffrey in die nächsthöhere Hubraumklasse (EMX2) auf. In Diensten von Jacky Martens (KTM) zerfleischte er sich nun regelmäßig mit dem französischen Yamaha-Gariboldi-Piloten Christophe Charlier. 2010 schnappte sich das KTM-Werksteam wohlwissend das Beste weg, was der holländische Markt seit langem zu bieten hatte.
Doch in Loket wurde Jeffreys 2010er-Saison jäh gestoppt, ein Sturz auf seine Schulter warf ihn aus der Meisterschaft und aus dem Konzept: „Soweit ich mich erinnern kann, war ich wirklich gut gestartet, stürzte in der Schikane und fiel einen Berg hinunter. Es war kein schlimmer Stutz, aber es reichte, um mir die Schulter auszukugeln. Ich habe noch versucht, sie wieder einzurenken, aber das gelang mir nicht. Kleiner Sturz, große Wirkung. Shit happens! So ist das manchmal im Leben.“
Doch ans Aufhören dachte er während seiner langen Rehazeit nicht, es sollte so schnell wie möglich wieder zurück aufs Bike gehen. Bereits zwei Wochen nach dem Sturz begann er wieder mit Physiotraining und ging regelmäßig ins Fitnessstudio, um seine Schulter zu stabilisieren und die Muskeln aufzubauen. Nach nur drei Monaten Auszeit saß er wieder auf dem Motorrad und bereitete sich in Spanien über mehrere Wochen intensiv vor, ehe er Ende Januar wieder zurück nach Belgien reiste, um sich auf den dortigen Sandstrecken zu stählen und fit zu machen.
Mittlerweile ist Jeffrey wieder im Vollbesitz seiner Kräfte und „ready to go“. Seine Prognose für 2011? „Sicher werde ich versuchen Rennen zu gewinnen. Es wird aber schwierig, denn wir haben eine Menge guter Fahrer dieses Jahr. Ich werde mein Bestes geben und dann werden wir sehen, wie weit es nach vorne geht.“
Doch für Jeffrey dürfte diese Saison abermals sehr aufregend werden, vielleicht sogar noch aufregender als seine Rookie-Saison 2010. Denn er hat nun mit Ken seinen größten Widersacher im eigenen Team. In der Vergangenheit hatten die beiden nicht gerade das beste Verhältnis zueinander und waren schon auf der 85er erbitterte Rivalen – abseits wie auf der Strecke. Doch als sich Roczen diesen Winter in den USA in der schnellsten und besten Supercross-Serie der Welt versuchte, gab es die ersten Annäherungsversuche seitens Herlings. Über Facebook feuerte Herlings den jungen Deutschen sogar an, als dieser in den Staaten sein US-Debüt feierte. „Ja, ich habe seine Rennen mit großem Interesse verfolgt. Er hat da drüben einen fantastischen Job gemacht. Das sag ich nicht nur, weil Ken dieses Jahr mein Teamkollege ist. Ich schaute auf seine Resultate und die haben überzeugt. Zu Anfang hatte er ein paar Höhen und Tiefen, das war auch sicher hart für Ken, aber zum Ende seiner Saison stand er auf dem Podium. Dazu kam sein super Debüt mit der 350er in der großen Klasse – das ist schon unglaublich“, gibt Jeffrey unumwunden zu.
Nichtsdestotrotz war Herlings zunächst überrascht, als er 2010 erfuhr, dass ausgerechnet Roczen sein zukünftiger Teamkollege werden würde: „Anfangs hieß es, Ken sollte für Suzuki und Roger De Coster in den USA Supercross fahren und anschließend zu den GP zurückkommen. 2012 sollte er dann komplett rüber gehen. Daher war es erst ein Schock für mich als ich davon erfuhr. Aber ich habe damit kein Problem, denn wir fahren dasselbe Bike, haben dasselbe Material und die gleiche Unterstützung. Ich denke, ich kann eine Menge von ihm lernen.“
Reichlich lobenswerte Töne also für seinen neuen Teamkollegen. Doch Jeffrey weiß, dass es da draußen inmitten des MX2-Haifischbeckens der größte Fehler wäre, sich nur auf einen einzigen Konkurrenten zu konzentrieren. „Klar, Ken ist mit Sicherheit der Favorit, doch auch Gautier Paulin, Max Anstie und Tommy Searle sind definitiv Leute, auf die ich aufpassen muss. Max Anstie ist ein großartiger Fahrer, er fährt aggressiv und ist zudem sehr schnell. Ich denke es ist wichtig, die Saison über beständig zu sein. Ja, ich glaube Beständigkeit ist das Zauberwort.“
Auf solch einem Level Motocross zu fahren wie Jeffrey Herlings ist für die meisten von uns unerreichbar. Zwar ist auch er noch jung, hat aber besonders mit seinem Teamboss Stefan Everts einen erfahrenen Mentor, der ihm den ein oder anderen Tipp geben kann. „Außerdem kann ich mich jederzeit an die ganzen Leute im Team wenden, sie sind wirklich gut und helfen mir gerne, wenn ich Fragen oder Probleme haben sollte.“ Tatsache ist, dass Herlings auch nach seinem Sturz nichts von seinem Biss verloren hat. „Ich bin noch ganz der Alte. Ich denke nach vorne, habe noch dieselben Ziele und Motivationen. Ich habe den Crash abgehakt und konzentriere mich jetzt auf die neue Saison. Sowas passiert und zurückhaltender werde ich dadurch nicht. Ich habe hier einen Job zu erfüllen und das will ich so gut wie möglich tun.“