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Throwback Thursday - Interview Antonio Cairoli

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Lesedauer: 10 min

Magazin öffnet seine Archive und wird im Rahmen seines „Throwback Thursday“ in Zukunft das ein oder andere Interview aus dem Magazin online stellen. Dabei könnt ihr euch auf so manche Perle aus zum Teil längst vergangenen Zeiten freuen. Heute hätten wir ein Interview aus dem Heft #11 (November/2011) im Angebot, welches Adam Wheeler mit niemand Geringerem als Antonio Cairoli führte.

Die WM-Karriere des Antonio Cairoli begann im Jahr 2004 mit einer Reihe impulsiver Starts, einer Portion Extravaganz, einem Überschuss an natürlichem Talent, einem ausgefallenen Charakter und ziemlich schlechtem Englisch. Heute ist er ein Multi-Weltmeister, der als Rennfahrer wandlungsfähig, als Person reif und offenherzig ist und als Symbol für das Motocross-GP-Racing steht. Und das seit Kurzem als fünffacher Weltmeister.

Aufgrund unzähliger Interviews ist der bisherige Weg von Antonio Cairoli den meisten von euch sicherlich nicht völlig unbekannt. 2010 gelang ihm ein Meilenstein in der MX-Geschichte, indem als Erster mit einer 350ccm-Maschine den Weltmeistertitel gewann, seinen bereits zweiten in der MX1-Klasse. 2011 feierte Tony dann seinen nun insgesamt fünften Weltmeistertitel und den dritten Titel in der MX1-Klasse in Folge. Cairoli ist inzwischen ein alter Hase im medialen Business, auch wenn der Sizilianer nicht immer glücklich bei einem Interview wirkt, ist er nie schüchtern und sagt immer offen seine Meinung. Ihm ist durchaus bewusst, dass er das Aushängeschild der WM ist und er weiß, dass seine Meinung von Bedeutung ist.

Hi Tony, nochmals Glückwunsch zu deinem fünften WM-Titel! Dein großes Ziel, Italiens berühmtester Motocrosser aller Zeiten zu sein, hast du erreicht, aber woher nimmst du immer wieder die Motivation, um an der Spitze zu bleiben?

Nach jedem Rennen und nach jeder Saison finde ich immer wieder neue Dinge, die mich interessieren und neugierig machen. Es gibt plötzlich neue, schnelle Fahrer, mit denen es Spaß macht, sich zu messen. Dieses Jahr war Desalle lange verdammt schnell, aber nächste Saison ist es vielleicht Frossard. Wenn man im Winter trainiert und dann bei den Vorbereitungsrennen Fahrer sieht, die alles gewinnen, ist es doch immer wieder motivierend, sie zu schlagen. Mein Speed hat sich dieses Jahr im Vergleich zum Vorjahr kaum verändert, es war auch nicht mein Ziel, daran etwas zu ändern, ich wollte nur mehr Beständigkeit. Diese konnte ich auch erreichen, denn ich stand 2011 sehr oft auf dem Podium. Der Anfang der Saison war wegen meiner Knieverletzung sehr hart und schmerzvoll für mich. Ich musste hart kämpfen und es war mental und körperlich eine schwere Zeit für mich. Ich war nach dem ersten GP nur Achter, das war sehr enttäuschend. Doch nach einem Monat fand ich zu alter Form zurück, konnte wieder Spaß haben und in meinen Rhythmus finden.

Du hast dich letzten Winter beim Supercross versucht und warst auch bereits einmal SX-Europameister. Wie denkst du über deine SX-Zukunft?

Ich denke, wenn du richtig gut Supercross fahren willst, musst du dir einfach ein Jahr Auszeit nehmen und nach Amerika gehen, alles andere bringt nichts. Ich war anderthalb Monate dort und konnte mit den Amis gut trainieren und mithalten, aber die Rennen dort sind noch einmal etwas anderes. Es wäre einfach ein zu großer Schritt für mich gewesen, und ich habe mich deshalb dazu entschlossen, wieder zurück nach Europa zu gehen und mit KTM noch die nächsten zwei Jahre MX1 zu fahren. Um ehrlich zu sein, finde ich auch, dass es vielleicht schon ein bisschen spät für mich ist, um Supercross auf so einem Level zu fahren.

Was ist deine nächste Herausforderung?

Mein Ziel ist es, Motocross medial (wenigstens in Italien) dahin zu bringen, wo sich im Moment die Superbikes befinden. Das wachsende Interesse ist grundsätzlich da und ich möchte Motocross sozusagen mehr Sichtweite verleihen. Um das zu erreichen, muss ich Rennen gewinnen, Spaß an den Rennen haben, für meine Fans da sein und viel Pressearbeit leisten. Ich denke, all diese Dinge motivieren mich sehr. Ich mag meine Rolle, als Botschafter des Motocross-Sports der Öffentlichkeit entgegenzutreten. Ich mag es zudem, wenn viele Fans am Streckenrand stehen, die während der Rennen ausflippen und auf den Rennen überall viel los ist. Ich kann gut damit umgehen, während der Rennwochenenden viele Dinge auf einmal zu tun. Manche Fahrer mögen es ja eher ruhig, aber ich bin da nicht der Typ für.

Aber vielleicht pusht ein Italiener, der in den USA Rennen gewinnt, die italienischen Medien noch mehr?

Sicher verfolgen auch die Leute in Italien das MX-Geschehen in den USA, aber es ist dennoch eine fremde Meisterschaft. Außerdem muss ja auch einer den Job hier machen.

Du hast ein Haus in Lommel (Belgien), in Rom und in deiner Heimatstadt Patti auf Sizilien. Wo kannst du dich am besten ausruhen?

Auf jeden Fall auf Sizilien, die Leute dort wissen schon ewig, dass ich Rennen fahre, für die ist das nichts Besonderes. In Rom und auch sonst überall in Italien werde ich immer öfter erkannt, das ist auch sehr schön. Es macht mir Spaß, mich mit den Leuten zu unterhalten und mehr über die Welt zu erfahren.

Tony, worin liegt dein Geheimnis – wieso bist du immer so gut und immer vorne mit dabei?

Wir hatten viele gute italienische Motocross-Fahrer wie Chiodi, Bartolini, Puzar – sie waren alle ein paar Jahre sehr weit oben, aber dann plötzlich nicht mehr. Ich bin nun seit 2004 vorne dabei und ich denke, dass hat alles sehr viel mit dem Charakter eines Fahrers zu tun. Ich will immer der Beste sein oder mindestens unter den Besten. Ich denke, das ist mein Erfolgsrezept, man kann mit seiner mentalen Stärke sehr viel erreichen.

2004 warst du ein zierlicher Junge, der vor allem fantastisch starten konnte, nun scheint es, als hättest du keinerlei Schwächen mehr. Du gewinnst, wenn du vorne bist, gewinnst, wenn du von hinten nach vorne fährst und bist derjenige, der in direkten Zweikämpfen auch immer siegt. Wie erklärst du dir das?

Ich kenne natürlich mein Potential und kann auch noch immer mehr an meiner Kondition und an meinem Speed arbeiten. Als ich noch jünger war, in der MX2- Klasse, war ich an manchen Stellen zwar sogar etwas schneller, aber ich denke, um in diesem Sport längerfristig zu überleben, solltest du immer nur so viel geben, wie für den Erfolg nötig ist. Man erlebt so viele Verletzungen während einer Rennsaison, und ich bin auf einem Level, auf dem ich bleiben will. Wenn ich mehr pushen muss, tue ich das auch, schalte dabei aber immer meinen Kopf ein.

Ist ein Ende bei dir schon in Sicht? Ricky Carmichael setzte sich mit 27 Jahren zur Ruhe …

Im Moment denke ich nicht darüber nach. Ich fühle mich in jeder Saison so, als wäre es erst meine zweite oder dritte. Ich bin also noch voller Energie. Ich mag es, zu reisen und unterwegs zu sein. Für mich ist eine Rennsaison nicht anstrengend, wenn ich nicht gerade verletzt bin. Im Gegenteil, es macht mir Spaß. Außerdem ist es ein wundervolles Gefühl, Rennen zu gewinnen. Für mich gibt es einfach nichts Besseres als Motocross zu fahren. Wenn ich Lust zum Trainieren habe, trainiere ich, wenn nicht, dann lasse ich es halt. Ich arbeite nicht nach einem Plan, trainiere nur so, wie ich Lust habe und das hat bis jetzt immer funktioniert. Das werde ich auch so beibehalten.

Aber wie hältst du dich dann so in Form? Dazu gehört doch auch Disziplin …

Ich höre schon auch auf meinen Körper, aber esse trotzdem alles, wann und wo ich will. In der Winterpause gehe ich etwas ins Fitnessstudio, aber sonst arbeite ich kaum an meinem Körper. Ich trainiere einfach vorwiegend auf dem Bike und gehe ab und zu Radfahren und Laufen. Ich mag es, Sport zu machen, aber wenn ich mal keine Lust habe, dann mache ich auch mal drei Tage gar nichts.

Dann hast du wohl einfach nur Glück …

Ja, das mag sein, aber wenn ich mehr tun müsste, um zu gewinnen, würde ich das auch machen. Ich weiß, dass ich öfter mehr pushen könnte, aber ich habe immer im Hinterkopf, dass direkt in der nächsten Kurve eine Verletzung auf dich warten könnte, die dich dann wieder komplett aus der Bahn wirft. Also schalte ich manchmal eher einen Gang zurück, auch wenn es vielleicht nicht so aussieht.

Die Saison 2011 brachte vielen Fahrern ein vorzeitiges Saisonaus aufgrund ihrer Verletzungen. Wie denkst du darüber, zusätzlich zu den GP noch die nationalen Meisterschaften zu bestreiten?

Ich weiß, dass die meisten Fahrer es nur des Geldes wegen machen. Die nationalen Titel an sich sind ihnen egal, Hauptsache die Kohle stimmt. Manchmal möchte ich auch eine andere Meisterschaft fahren, aber das Problem bei mir ist, wenn ich mich nicht gut oder wohl fühle, fahre ich nicht. Also bringt das für eine andere Meisterschaft nichts. Zum Beispiel liebe ich das Rennen der Belgischen Meisterschaft in Balen, wo sich Desalle dieses Jahr verletzt hat, aber ich konnte aufgrund eines Termins mit einem Sponsor leider nicht teilnehmen, außerdem brauchte ich ein paar Tage Urlaub.

Desalle jagte dich in der WM, hat sich aber gleich zwei Mal bei nationalen Rennen verletzt …

Natürlich ist das immer ein größeres Risiko, weil der Anspruch an diese Rennen immer ein anderer ist als bei den GP. Es sei denn, du willst den nationalen Titel nicht gewinnen und nimmst die Rennen nur als Training. In diesem Fall gibst du einfach nur dein Bestes und hältst dich aus sämtlichen riskanten Manövern so gut es geht raus.

Steve Ramons heftiger Crash in Lommel erschütterte die MX-Szene. Wie bist du damit umgegangen?

Das war echt schrecklich. Steve hatte eine schlimme Verletzung, aber zum Glück wird wohl alles wieder gut und er kann sich wieder vollständig erholen. Wir wissen alle, was bei dieser Sportart passieren kann. Steve ist ein großer Champion, sehr professionell und seit vielen Jahren vorne mit dabei. Ich mag ihn als Fahrer und mir tut es sehr leid für ihn, dass er so eine Verletzung hatte. Ich habe ihm natürlich auch eine Nachricht mit Genesungswünschen geschickt und dass er bald wieder gesund wird. Ich weiß auch nicht, was dieses Jahr los ist, ich habe noch nie in einer Saison so viele Verletzungen und daraus resultierende Ausfälle erlebt. Ich denke nicht, dass die Betroffenen über ihrem Limit gefahren sind, denn man muss bei diesem Sport einfach auch mit Kopf fahren und realisieren, was möglich ist und was nicht.

Ausgerechnet beim MX of Nations will es einfach nie so recht für dich laufen. Was war in Frankreich dieses Jahr passiert?

Nach unserem zweiten Platz in der Quali waren wir innerhalb des Italienischen Teams sehr glücklich und zuversichtlich für den Sonntag. Im ersten Rennen hatte ich auch gleich einen guten Start, aber schon in der ersten Kurve musste ich zu Boden, da ich in ziemlich weichen Schlamm gekommen bin. Ich habe das Rennen dann als 16. wieder aufgenommen und pushte hart, um schnellstens wieder nach vorne zu fahren. Dabei habe ich dann anscheinend zu viel Gas gegeben und hatten einen bösen Einschlag. Dabei brach der Lenker ab und, wie sich später herausstellte, auch mein Kahnbein im Handgelenk, an ein Weiterfahren war danach nicht mehr zu denken. Was soll ich sagen, dieses Pech beim Nationencross ist schon unglaublich. Ich kann im nächsten Jahr nur erneut versuchen, es besser zu machen.

Wie hat sich deine KTM 350SX-F von 2010 bis jetzt entwickelt?

Das Bike ist fast gleichgeblieben. Ein paar Fahrwerkveränderungen und ein wenig mehr Motorleistung – mehr ist es eigentlich nicht. Wir arbeiten aber ständig daran, es ist schließlich ein ziemlich neues Bike auf dem Markt. Das 2012er-Bike wird noch einen Tick besser werden. Letztes Jahr beim MXoN in Lakewood/USA hätte ich gerne mehr Power gehabt. Die Strecke liegt ja ziemlich hoch und als ich hinter Dungey war, wäre noch mehr Leistung einfach cool gewesen. Dann hätte ich ihm besser folgen können. Das war aber auch das einzige Mal, an das ich mich erinnern kann, wo ich mir mehr Power gewünscht habe. Ansonsten mag ich das Bike bei fast allen Rennen sehr.

Wie ist dein Arbeitsverhältnis mit KTM?

Es ist das beste Team, was du dir nur wünschen kannst. Wenn du bei Yamaha oder einem anderen Hersteller fragst, ob sie beispielsweise etwas am Rahmen ändern können, ist das meistens unmöglich. Fragst du bei KTM nach, können sie alles für dich ändern. Wir haben viel Freiraum, das heißt auch, dass wir dem Hersteller wichtige Tipps für die Serienproduktion geben können. Klar war letztes Jahr alles neu für mich, neues Bike, neues Team und vor allem ein komplett neues Motorrad, was es so vorher noch nie auf dem Markt gab. Für mich war es eine große Herausforderung, denn keiner wusste, ob das Bike auch konkurrenzfähig ist. Aber nachdem ich die ersten Trainings absolviert hatte, merkte ich, dass ich super damit zurechtkam, und wir entschieden uns dafür, die Saison erstmals mit der 350ccm-Maschine zu bestreiten. Wie sich herausstellte, hat es sich gelohnt, wir gewannen zum ersten Mal mit einer 350er die Weltmeisterschaft und ich konnte dieses Jahr schon zum dritten Mal den MX1-Titel holen.

Also war es keine schwere Entscheidung, die Vertragsverlängerung bei KTM für 2012 und 2013 zu unterschreiben?

Wir wissen alle, dass auf der ganzen Welt noch immer eine gewisse Krise herrscht, aber KTM steckt dennoch einen großen Aufwand und Investitionen in diesen Sport. Es gab also keinen Grund für mich, Nein zu sagen. Ich bin sehr stolz, in diesem Team zu sein und fühle mich in meiner Umgebung sehr wohl.

Wie nah Freud und Leid im Leben beieinander liegen können, musste Antonio direkt im Anschluss an seinen fünften Titelgewinn erleben. Kurz nach dem Grand Prix in Gaildorf musste der alte und neue Weltmeister schnellstens in seine Heimatstadt Patti reisen, da seine Mutter Paula im Sterben lag. Tony verzichtete auf die letzte WM-Runde in Fermo/I, da seine Mutter noch in derselben Woche starb. Der unvorstellbare Verlust für Antonio und seine Familie traf auch viele Fans, die in Fermo sogar eine Gedenkstelle zu Ehren von Tonys verstorbener Mutter errichteten. Seine einzige Meldung an dem für ihn schwarzen Wochenende ließ er über seinen Twitter-Account mit dem Wort „Mamma“ verlauten.

Jens Pohl
Jens Pohl
Online-Redakteur
Fotocredits
  • Ray Archer
  • Frank Hoppen
  • Redey
Textcredits
  • Adam Wheeler

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